Lievegoed und Glasl, aber auch Laloux sehen immer wieder Parallelen zwischen der Entwicklung der sozialen Beziehungen in Unternehmen und der sozialen Beziehungen im Verlauf des Lebens eines Menschen. Glasl beschreibt den Entwicklungsprozess sozialer Systeme mit dem von Pflanze, Tier und Mensch vergleichbar und erklärt: „Die Identität eines Unternehmens kann mit dem Ich eines Menschen verglichen werden, das allen Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühlen und Willensäußerungen Zusammenhang und Kontinuität verleiht“. Auch ich habe die Eigenheiten der sozialen Beziehungen im Verlauf der Unternehmensentwicklung mit dem Charakter der sozialen Beziehungen im Verlauf eines Menschenlebens bildhaft verglichen. Dabei habe ich den Vergleich von der Kindheit bis zum Tod des Menschen durchgehalten.
In dieser Phase ist es der Pionier-Unternehmer, der wie in einer „Elternrolle“ die Entscheidungen für das Unternehmen und „seine“ Mitarbeiter trifft. So ist es auch im frühen Kindesalter noch die Verantwortung der Eltern, für einen sicheren Rahmen zu sorgen und die Verantwortung zu tragen. Diese Aufsichtspflicht und die „elterlichen Sorge“ für Kinder sind in diesem Alter gesetzlich festgeschrieben. Entsprechend bieten sich für Unternehmen dieser Phase Rechtsformen wie die GBR oder die OHG an, bei denen die Unternehmer die volle Entscheidungsgewalt haben und gleichzeitig in der vollen Haftungsverantwortung stehen, mitsamt ihrem Privatvermögen.
Betrachtet man die soziale Struktur eines Menschen in der Jugend, sind gewisse Ähnlichkeiten zur Differenzierungsphase erkennbar. Die liebevolle Alleinherrschaft der Eltern aus der Kindheit ist vergangen, in der Jugend werden oft nur noch die Regeln von den Eltern geprägt. Innerhalb der aufgestellten Regeln und Standards kann der Jugendliche selbstständig entscheiden.
In der Lebensphase eines Erwachsenen zwischen Anfang 20 und Mitte 30 übernimmt der Mensch idealtypisch die Hauptverantwortung für sein Leben, auch wenn er ihr anfangs noch nicht gewachsen ist. Die Radikalität der vorherigen Phase wird abgelegt, die Interessen der Umwelt integriert, nicht mehr ignoriert. Am Anfang der Phase mit Studium, Meisterlehre oder anderem erlangt er Unabhängigkeit im Denken und Handeln, was nicht selten in Selbstüberschätzung mündet. Die Eltern werden nicht mehr als Entscheider, nur noch als wichtige Berater ohne Entscheidungskompetenz gesehen.
Eine zur Assoziationsphase vergleichbare Phase im Menschenleben ist das Alter zwischen Mitte 30 und Mitte 50. Da liegt oft die Rushhour des Lebens, in der der Mensch vielen Stakeholdern, wie Familie, Arbeit, Karriere und Hobbys gleichermaßen gerecht werden will. Die Abläufe sind mit den verschiedenen Partnern oft gut koordiniert und viele Entscheidungen werden gemeinsam im Netzwerk getroffen, viel Spielraum für individuelle, unabhängige Entscheidungen bleibt in dieser Phase oft nicht. Die Eltern sind meist nicht mehr in die wichtigen Entscheidungen involviert.
In der weiteren Entwicklung im Menschenleben, ab einem Alter um 50 Jahre bis 70 Jahre, geht die Hierarchie im engeren Umfeld eines Menschen verloren. In dieser Phase beginnen viele Menschen mit der inneren Vorbereitung auf den Rückzug aus den größten Lebensaufgaben der vorherigen Phasen, wie Kindererziehung und Karriere. Die eigenen Kinder werden selbstständig, man berät sich gegenseitig. Der materielle Karriere-Höhepunkt ist oft erreicht und die Bereitschaft zur Unterordnung unter berufliche Zwänge wird geringer. Im engeren Umfeld ist diese Lebensphase geprägt von Kommunikation und Aufgabenverteilung auf Augenhöhe. Daher sind Hierarchien im engeren Umfeld in dieser Phase in vielen Situationen nicht angemessen, die Hierarchie im Verhältnis zum weiteren Umfeld wächst dagegen im Vergleich zur zum Alter zwischen 30 und 50 Jahren wieder.
Auch im Menschenleben sehe ich eine ähnliche Entwicklung. In der Zeit ab 70 Jahren bis hin zum Tod nehmen sich viele Menschen zur Aufgabe, für ihr Umfeld einen Raum zur Begegnung zu schaffen, beispielsweise Familientreffen. Die strategischen Entscheidungen treffen die Kinder des Menschen, die sich aber nicht mehr als Kinder, sondern als Geschwister auf Augenhöhe begegnen. Je nach Situation sind die Enkel schon eingebunden und der Lebenspartner des Menschen noch eingebunden.
Unternehmen der Schenkungsphase mit einer Situation im Menschenleben verglichen, kommt der Situation vor dem Tod eines Menschen nahe. Am Ende eines Lebens können Menschen oft keine Verantwortung mehr für ihr Leben übernehmen. Nur noch die Angehörigen und Freunde können dann Entscheidungen im Sinne des Sterbenden treffen. Sie beraten sich dann im Ideal gemeinsam auf Augenhöhe. Jeder einzelne hat dabei zwar individuelle Entscheidungskompetenz, es kommt aber auf die gemeinsame Leistung an.
Wenn man sich den Einfluss eines Verstorbenen auf das Handeln der Hinterbliebenen anschaut, ist er mit der in der Lebenskünstler-Phase beschriebenen Situation vergleichbar. Der Verstorbene kann von den Hinterbliebenen keine Unterordnung mehr verlangen, auch keine Augenhöhe. Möglich ist nur eine freiwillige Berücksichtigung des Verstorbenen bei den eigenen Entscheidungen. Die Hinterbliebenen können noch aus freien Stücken im "Sinne des Verstorbenen" handeln, ohne dafür aber eine Gegenleistung zu bekommen oder erwarten zu können. Das ist die einzige Form der Leistungsbeziehung, die in dieser Situation noch möglich ist. Insofern ist es auch die ehrlichste Beziehung und die, die am meisten Selbstführung braucht.